§. 29, 1. Die Kultur der Griechen. Kunst und Wissenschaft. 181
Vaterlandsliebe, Seelenstärke und Götterfurcht. Auch von Sophokles (496—406), der über 100 Dramen verfaßt hat und einen dritten Schauspieler einführte, sind sieben Tragödien erhalten: der König Ödipus, Ödipus auf Kolonos, Antigone, welche sich mit dem Schicksale des Ödipus und seiner Familie beschäftigen, Elektra, Ajax, Philoktetes und die Trach inier in nen. Sie sind ein Muster der Schönheit und Vollendung und kennzeichnen die Bildung und geistreiche Geselligkeit des perif letschen Zeitalters, sodaß noch jetzt mehrere von ihnen zur Aufführung kommen. Unter den 19 Stücken des Euripides (480—406), welche uns erhalten sind, verdient die Medea den Vorzug; es gehören ferner dazu: Andro-mache, Iphigenie in Aulis, Iphigenie bei den Tauriern, die Phönizierinnen u. a. Euripides gehört der sophistischen Aufklärung seiner verweichlichten Zeit an; er sucht zu unterhalten statt zu erbauen und ersetzt die schöpferische Kraft und das wahre Gefühl ferner Vorgänger durch Empfindsamkeit und eine glatte, zierliche Sprache, sodaß mit ihm schon der Niedergang der dramatischen Kunst beginnt.
Ein Zeitgenosse des Euripides ist der Lustspiel- oder Komödien-dichter Aristvphanes (452—388) von Athen, welcher in seinen Stücken die Thorheiten der Zeit unbarmherzig geißelt und die angesehensten Personen, wie Perikles, Kleon, Sokrates re. nicht verschont. So verspottet er in den „Fröschen" den Euripides, in den „Wolken" die Sophisten in der Person des Sokrates, in den „Rittern" den Gerber Kleon. 11 Stücke von ihm sind uns erhalten.
Auch in der Prosa sind uns die Griechen Muster. Ihre 3 Geschichtschreiber Herodot, Thukydides und Tenophon sind uns in ihren Werken Lehrer und Vorbilder geblieben. Herodot aus Halikarnaß (444) ist der Vater der Geschichtschreibung. Er beschrieb in 9 Büchern, welche er nach den 9 Musen benennt, die Kämpfe der Griechen mit den Persern und beurkundet ein ausgezeichnetes Erzählertalent. Er fügt feiner Darstellung auch die ältere Geschichte der morgenländischen und griechischen Völker ein und berichtet, da er den Erzählungen der Priester folgt, manches Fabelhafte. Auf seinen großen Reisen hatte er die meisten Länder, deren Geschichte er mitteilt, durch eigene Anschauung kennen gelernt. Seine Geschichtsbücher feuerten Thukydides (470—402) von Athen zur Nacheiferung an. Zur Zeit der Schlacht bei Amphlpolis (422) wegen verspäteter Ankunft verbannt, widmete er die Jahre seines Exils der Abfassung der Geschichte des peloponnesischen Krieges, welche er mit dem 21. Jahre des Krieges abschließt. Sein Werk verrät tiefen
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182
Zweiter Abschnitt. Dritter Zeitraum.
Ernst und ist durch Sprache und Inhalt ausgezeichnet. Wo Thuky-dides aufhört, beginnt L6nophon (446—356) aus Athen (§. 24). Sein klarer, schöner und leichter Stil, welcher aus seiner hellenischen Geschichte, ferner in seiner romanhaften Bildungsgeschichte des älteren Cyrus, Cyropädie genannt, in seiner Anäbasis oder dem Rückzug der 10000 Griechen und vielen kleinen politischen und ökonomischen Schriften uns entgegentritt, steht allerdings über seiner geschichtlichen Treue. Obgleich er Athener war, ist er doch ein Lobredner der Spartaner und ihres Königs Agesilaos.
Die Redekunst, durch welche Perikles ein so bedeutender Staatsmann geworden ist. wurde besonders in Athen gepflegt und in Rednerschulen daselbst gelehrt. Unter den 10 attischen Rednern, welche schriftliche Reden hinterlassen haben, nimmt Jsokrates (436—338), eine bedeutende Stelle ein. Er trat zwar nicht selbst öffentlich als Redner auf, arbeitete aber viele Reden aus, von denen noch 21 erhalten sind, die von seinem Talente und Fleiß Zeugnis geben. Sein berühmtester Schüler war Demosthenes (385—322), welcher mit unglaublicher Anstrengung alle die Hindernisse überwand (§. 26), die ihm die Natur bereitet hatte, und durch seine Vaterlandsliebe, seinen Spott und seinen bittern Ernst die Zuhörer fesselte. Seine bedeutendsten Reden sind die 12 philippifchen, in denen er seine Landsleute gegen ihren Erbfeind , Philipp von Macedonien, anfeuert. Sein Nebenbuhler war Philipps Freund, der Athener Äschines; ein Gegner aus Überzeugung war der friedliebende, biedere Phokion.
Die Philosophie der Griechen beschäftigte sich mit den Lehren der griechischen Religion über den Ursprung der Welt und der Götter, über das Leben des Menschen und sein Ziel, und suchte durch gründliches Nachdenken zu erforschen, wie das Leben der Menschen und des Staates nach den Grundsätzen der Wahrheit und Weisheit zu erklären und zu ordnen sei. Schon die steben Weisen Griechenlands befaßten sich mit solchen Fragen, und jeder führte einen kurzen Denk- und Sittenspruch:
Kleobülus von Leskos: Maß zu halten ist gut!
Periänder von Korinth: Alles mit Vorbedacht!
Pittakus von Mytilene: Wohl benutze die Zeit!
Bias von Brisne: Mehrere machen es schlecht!
Thales von Milet: Bürgschaft bringt Leid!
C h i l o n von Sparta: Kenne dich selb st!
Solon von Athen: Nichts im Übermaß!
Männer, wie Thales (635—560) und seine Freunde, glaubten
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§. 29, 1. Die Kultur der Griechen. Kunst und Wissenschaft. 183
in der Natur, im Feuer, in der Luft, im Wasser und in der Erde den Grund alles Seins zu finden, während ihn Pythagoras von Samos (584—504) durch Zahl und Maß lösen wollte und bereits die Einheit Gottes erkannte. Da seine Lehren unter der Herrschaft des Polykrates in feinet Heimat keinen empfänglichen Boden gefunden hatten, so war er nach der griechischen Kolonie Kroton in Unteritalien gegangen. Dort stiftete er den pythagoräischen Bund. Er wohnte mit feinen Schülern in einem Hause zusammen, empfahl die Reinheit des Körpers und der Seele, sowie strenge Mäßigkeit und innige Freundschaft (Dämon und Phinthias). Er schätzte auch die Musik und war ein vorzüglicher Mathematiker, wie „der pythagoräische Lehrsatz" es bekundet. Wie er, so beschäftigten sich die Griechen gern mit der Weltweisheit; so geschah es unter den leichtfertigen Sophisten in Athen, so durch Sokrates (§. 23). Die Schüler des Sokrates bauten feine Lehre weiter aus. Antisthenes wurde ein Muster der Bedürfnislosigkeit. Dessen Schüler Zeno (320) trug feine Sehre in der Säulenhalle (Stoa) zu Athen vor und wurde der Stifter der stoischen Schule, welche die Tugend für das einzige Gut erklärte und kein Übel zu kennen behauptete, als Unwissenheit und Laster. Darum waren die Hauptpflichten der Stoiker, zu denen sich die größten Männer des Altertums bekannten, streng nach den Vorschriften der Sittlichkeit zu leben, Tugend zu üben und gegen die Wechfelfälle des Glückes gleichgültig zu fein. Über das Leben und die Lehre des Sokrates haben uns feine beiden bekanntesten Schüler, Xenophon und Platon, anziehende Berichte hinterlassen. Von Platons Schriften sind uns 35 Dialoge erhalten. Die Lehre des Sokrates und Plato hat des letzteren Schüler Aristoteles aus Stagira (384—322), der Lehrer Alexanders des Großen, zu einer Wissenschaft ausgebildet. Er ist Stifter der penpatetifchen Schule, die von den Schattengängen im Lyceum zu Athen, wo Aristoteles hin- und hergehend zu philosophieren pflegte, diesen Namen erhielt. Aristoteles war nicht bloß Philosoph, sondern überhaupt der wissenschaftlichste Gelehrte des Altertums. Er ist auch der Verfasser des ersten ausführlicheren naturbefchreibenden Werkes auf einer wissenschaftlichen Grundlage; aber nur ein Teil feiner Werke ist uns erhalten. Gleichzeitig mit Aristoteles lebte Diogenes aus Sinope (§. 27, 1), welcher die Genügsamkeit für die rechte Weisheit hielt, aber dadurch zu einer einseitigen Verachtung des Anstandes und der Schicklichkeit verleitet wurde. Solche Leute hießen Cyniker. Aristipp von Kyrene stellte den Lebensgenuß als obersten Grundsatz auf. Sein Schüler Epikur (270) brachte die Kunst des Genießens
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Extrahierte Personennamen: Zeno_( Schüler_Aristoteles Alexanders Aristoteles Aristoteles Aristoteles
§. 30. Die griechischen Frauen.
197
Hetären. Zur Zeit des peloponnesischen Krieges traten in Athen dagegen freigelassene Sklavinnen aus, welche sowohl durch Witz, Geist und einen gewissen Grad von Bildung, als durch ihren Gesang, ihr Citherspiel und ihren Tanz die Ausmersamkeit der Männer aus sich zogen. Sie wagten sich in das öffentliche Leben, nahmen an den Gelagen der Männer Anteil und erheiterten dieselben durch ihre Künste. Im allgemeinen standen sie nicht in hoher Achtung, obwohl sie den schönen Namen Hetären, d. i. Schwestern oder Freundinnen führten. Kein Mann schämte sich aber des Umgangs mit ihnen, seitdem Perikles die gefeiertste aller Hetären in sein Haus aufgenommen und sich mit ihr vermählt hatte; es war Aspasia aus Milet, welche, ebenso schön wie geistreich, den größten Mann Athens zu fesseln und zu einer Scheidung von seiner ersten Frau zu veranlassen wußte. Wie Perikles wegen der Macht seiner Beredsamkeit der Olympier genannt wurde, so hieß Aspasia seine Hera oder wegen ihres Einflusses auf ihn seine De'i'anira. Auch Sokrates besuchte sie, nannte sich ihren Schüler und bewunderte ihre Beredsamkeit. Männer und Frauen suchten ihren Umgang, um von ihr zu lernen. Als die Athener einmal mit Perikles zerfallen waren, klagten sie Aspasia an, sie habe die Ehrfurcht gegen die Götter verletzt. Perikles verteidigte sie vor Gericht und soll während der Verteidigungsrede mehr Thränen vergossen haben als je. Seine Bitten rührten die Richter, und Aspasia wurde freigesprochen. Ebenso wenig konnte er es ertragen, wenn die Komödiendichter sie zur Zielscheibe ihres Witzes machten, während er Schmähungen gegen seine eigne Person höchst gleichgültig aufnahm. Die Hetären besuchten die Hörsäle der berühmtesten Philosophen und befaßten sich auch mit Schriftstellerei; allein trotz aller Bildung und Liebenswürdigkeit vermochten sie sich in der allgemeinen Volksanschauung nicht über die ehrsamen athenischen Frauen zu erheben, welche im Stillen ihrem Berufe lebten. Von den Hetären redete jedermann, von den Frauen niemand. Darum sagt der Geschichtschreiber Thukydides: „Die Frau ist die beste,
von der zum Lobe wie zum Tadel am wenigsten die Rede ist; der Name einer braven Frau darf so wenig wie sie selbst aus ihrem Hause hervortreten."
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§. 61, 3. Kunst und Wissenschaft bei den Römern. 321
in seinen Epigrammen und der geistreiche Grieche Lucian (um 200) in feinen Satiren. Als Fabeldichter machte sich zu den Zeiten des Augustus Phädrus aus Thracien geltend, welcher teils die äsopischen Fabeln übersetzte, teils nach ihrem Muster neue Fabeln dichtete.
Die Prosa hat ihre glänzendsten Vertreter in Cäsar, Cicero und Cornelius Nepos. Cajus Julius Cäsar (100-44), welcher sich frühzeitig durch Gedichte und Reden bekannt gemacht hatte, schrieb 7 Bücher über den gallischen und 3 über den Bürgerkrieg mit Pom-pejus. Marcus Tullius Cicero (106—43), der vorzüglichste Redner der Römer, hat 59 Reden, eine große Sammlung Briefe wertvollen geschichtlichen Inhalts und einige philosophische Werke, in welchen er feine Landsleute mit der Philosophie der Griechen bekannt zu machen strebte, uns hinterlassen. Unter allen römischen (Schrift: stellern hat keiner die lateinische Sprache in solcher Reinheit und Feinheit zu handhaben verstanden wie Cicero, und darum gilt er als Muster der klassischen Satinität. Von Cornelius Nepos, um 95 im Veronesischen geboren, ist noch eine Lebensbeschreibung feines Freundes Pomponius Atticus erhalten, während die Biographien ausgezeichneter Männer, die feinen Namen tragen, von einem späteren Verfasser herrühren. Vor diesen 3 Hauptprofaikern lebte der Sabiner Cajus Sallustius Crifpus aus Amitemum (85—35 v. Chr.), ein geistreicher Geschichtschreiber, von welchem wir eine Darstellung des catilinarischen und des jugurthifchen Krieges in etwas altertümlicher Form besitzen; ein größeres Werk von ihm, „6 Bücher Historien", ist leider verloren gegangen. Nach Sallust lebte Titus Livius aus Padua (59 v. — 17 n. Chr.) längere Zeit in Rom, kehrte aber nach dem Tode des Kaisers Augustus in feine Heimat zurück. Seine in 142 Büchern geschriebenen Annalen der Geschichte Roms, wovon noch 35 erhalten sind, behandelten die Zeit von der Gründung Roms bis zum Tode des Drusus und waren mit großem Fleiße zur belehrenden Unterhaltung des römischen Volkes geschrieben. Von den Geschichtschreibern der Kaiserzeit sind Cornelius Tacitus und Suetonius die bedeutendsten. Caj. Cornelius Tacitus (60—134 n. Chr.) erzählte in feinen Annalen die Geschichte Roms vom Tode des Augustus bis zu dem des Nero und in feinen Historien die Ereignisse feiner Zeit von der Thronbesteigung Galbas bis zum Tode Domitians. Er übertrifft alle feine Vorgänger an tiefer politischer Weisheit und an Kenntnis des menschlichen Gemüts. Seine Darstellung ist durch den Reichtum der Gedanken und die Kürze des Ausdrucks meisterhaft. Von ganz besonderem Interesse für uns
(Saffian? Weltgeschichte I. 6. Aufl. v. Ph. Beck. oi
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§. 62, 1. Die römischen Frauen in der ältesten Zeit des Staates. 323
geographischen Werke in 17 Büchern berücksichtigte er neben den geographischen Verhältnissen der Länder auch Sitten und Gebräuche, Geschichte und Verfassung, Gesetzgebung und Kultus der einzelnen Staaten und Völker.
Unter den Gelehrten Alexandriens zeichnete sich um 150 n. Chr. Ptolemäus durch ein astronomisches Werk in 13 Büchern aus, in welchem er das nach ihm benannte ptolemäische Weltsystem darlegte, wonach die Erde den festen Mittelpunkt für die Bewegungen der Planeten bilden sollte.
In den Naturwissenschaften haben wir dem Philosophen Seneca, dem Lehrer Neros, 7 Bücher Erörterungen und Plinius dem Ältern eine Naturgeschichte in 35 Büchern zu danken. Diese letztere enthält neben naturhistorischen Berichten auch Vieles aus dem Gebiete der Mathematik, Geopraphie und Kunstgeschichte. Plinius kam bekanntlich bei dem Ausbruch des Vesuvs (79 n. Chr.) um, welchen sein Neffe, der jüngere Plinius, in zwei uns erhaltenen Briefen anschaulich geschildert hat.
§. 62. Die röniiftfien Frauen.
1. Die römischen Frauen in der ältesten Zeit des Staates.
Wenn wir die Schicksale der römischen Frauenwelt darstellen wollen, so müssen wir drei verschiedene Perioden unterscheiden, in denen das häusliche und sittliche Leben wesentliche Veränderungen erlebte, nämlich die Zeiten der Begründung, des Aufblühens und des Verfalls der römischen Weltherrschaft.
Betrachten wir zunächst die Zeiten, wo anfangs unter den Königen und später, bei republikanischer Einrichtung unter jährlich wechselnden Konsuln, Roms Herrschaft sich entwickelte, so finden wir im politischen und häuslichen Leben der Römer eine Einfachheit und Regelmäßigkeit, Reinheit und Sittenstrenge, Charakterstärke und Aufopferungsfähigkeit, welche unsere Bewunderung verdient. Die nämlichen Tugenden, welche die Männer zeigten, zierten auch das weibliche Geschlecht. Schon frühzeitig äußerte dasselbe in Rom auf den Gang der Ereignisse einen entschiedenen Einfluß, woraus sich von selbst der richtige Schluß ergiebt, daß Roms Frauen unter allen Frauen des Altertums die größte persönliche Freiheit genossen und der höchsten Achtung Seitens der Männer sich zu erfreuen hatten. Die Römerin war nicht Sklavin im Hause, auch nicht Herrin, aber die treue Gefährtin des Mannes, welcher ihr alle Rechte eines Kindes zukommen ließ. Unter großen Feierlichkeiten fand in
21*
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28. Sokrates.
151
nicht so sehr nach Erkenntnis der Wahrheit als nach Ehre und Ansehen, Geld und Wohlleben.
Anders war Sokrates. Ihn trieb von Jugend auf eine innere Stimme zur Erforschung der Wahrheit. Vor allem dachte er über das Wesen der Götter und die Bestimmung des Menschen, über die wahre Glückseligkeit und den Unterschied zwischen Leib
und Seele nach. Unermüdlich folgte er dabei der Forderung der
Inschrift am Tempel zu Delphi: „Erkenne dich selbst!" So kam er nach langem Forschen zu der Erkenntnis, daß nur ein Gott sei; außerdem gelangte er zu einer tieferen Kenntnis über den Zusammenhang aller Dinge. Er faßte deshalb den Entschluß, als Lehrer unter das Volk zu treten, um dasselbe zur Erkenntnis der Wahrheit und Übung der Tugend zu leiten und durch Erziehung und Unterweisung der Jugend eine bessere Zukunft in seinem Vaterland zu begründen.
Seine Lehre. Das Ergebnis seines langjährigen Forschens läßt sich in folgende Sätze fassen: 1) durch Selbstprüfung wird der Mensch zum Bewußtsein der eigenen Nichtigkeit geleitet; 2) die Gottheit hat an Opfern keinen Gefallen, wohl aber an guten Werken; 3) der Mensch besteht aus Leib und Seele. Die Seele ist der bessere Teil des Menschen, ein Geist, der mit mannigfachen Fähigkeiten ausgerüstet ist und auf Erden ausgebildet werden soll. Die Seele ist unsterblich, der Leib vergeht; 4) Gott belohnt das Gute und bestraft das Böse; 5) der Mensch kann durch Reichtum und
Ehrenstellen nicht wahrhaft glücklich werden, sondern nur durch das
Bewußtsein, gut und redlich gelebt zu haben; 6) nichts bedürfen ist göttlich und am wenigsten bedürfen führt der Gottheit am nächsten.
Seine Lehrweise. Diese Lehren trug er nicht in zusammenhängender Rede in einer Schule vor; sondern er suchte das Volk bei seiner Arbeit auf, lehrte in Gesprächsform auf der Straße, auf dem Markte, oder wo sonst sich gerade Hörer fanden. Sein Verfahren bestand darin, daß er die Leute durch geschickte Fragen zunächst über ihr Scheinwissen aufklärte. Er stellte sich nämlich so, als nehme er die von jemand gemachte Behauptung als wahr an (die sokratische Ironie), wußte aber dann die Fragen so zu richten, daß die Leute aus sich selbst heraus zu der Erkenntnis ihres Scheinwissens kamen. Hatte er seine Hörer so weit geführt, so half er ihnen auch, indem er an Bekanntes anknüpfte, durch fortgesetztes, geschicktes Fragen weiter, sodaß sie durch eigenes Nachdenken zu richtigen Vorstellungen und klarer Erkenntnis über die angeregte Sache
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322
Dritter Abschnitt. Dritter Zeitraum.
ist seine Schrift über die Lage, die Sitten und Völkerstämme Deutschlands, gewöhnlich die Germania des Tacitus genannt, in welcher er die Tugenden der unverdorbenen Germanen seinem verderbten Zeitalter gleichsam strafend vorhält, ohne jedoch seinen Stolz als
Römer ganz zu verleugnen. Suetonius, welcher unter Trajan und
Hadrian lebte, schrieb die Biographien der ersten 12 römischen Kaiser, in welchen er das Hof- und Privatleben der Kaiser höchst lehrreich schildert.
Unter den griechischen Schriftstellern, welche die römische Geschichte behandeln, zeichnet sich vor allen Polybius (203—121)
aus Megalopolis in Arkadien aus. Er kam durch Ämilius Paulus 166 v. Chr. als Geisel nach Rom, wo er dessen Söhne unterrichtete, und schrieb ein Geschichtswerk in 38 Büchern, wovon noch 5 Bücher und einige Fragmente erhalten sind. In diesem Werke wollte er zeigen, wie alle bekannten Teile der Erde unter Roms Herrschaft gelangt sind, und behandelt das Wachstum der römischen Macht in der Zeit von 220—157 v. Chr. Dionysius aus Halikarnaß kam um 30 v. Chr. nach Rom, wo er neben anderen Schriften seine römische Archäologie in 20 Büchern verfaßte, welche die Geschichte Roms vom Anfang bis zum Beginne der punischen Kriege darstellt, wo Polybius mit der seinigen begann. Plutarch, ein Grieche und um 50 v. Chr. in Chäronea in Böotien geboren, war ein Freund des Kaisers Hadrian, der ihn zum Prokurator in Griechenland einsetzte. Er war ein viel gelesener, philosophischer und geschichtlicher Schriftsteller und hatte u. a. 44 Biographien ausgezeichneter Männer Griechenlands und Roms geschrieben, von welchen er gewöhnlich die eines Griechen und eines Römers zu einer Schlußbetrachtung verband. Pausanias, um 170 n. Chr. zu Cäsarea in Kappadocien geboren, bereiste Griechenland, Italien, einen großen Teil von Asien und Afrika. Hierauf beschrieb er in zehn Büchern die religiösen und künstlerischen Merkwürdigkeiten der geschichtlichen Orte von fast ganz Griechenland, wobei er Geschichte, Geographie und die alten Mythen berücksichtigte, sodaß sein Werk eine wichtige Quelle für Kunstgeschichte und Altertumsforschung bildet.
Die Länderkunde der alten Welt bereicherte Strabo durch eine Fülle wichtiger Nachrichten. 66 v. Chr. zu Amasia in Kappadocien geboren und aus einer griechischen Familie stammend, widmete er sich zuerst geschichtlichen, dann geographischen Studien und bereiste die Länder vom schwarzen Meer bis Äthiopien, von Armenien bis nach Sardinien und hielt sich längere Zeit in Rom auf. In seinem
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Extrahierte Personennamen: Hadrian Roms Dionysius
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Rom Rom Chäronea Böotien Griechenland Griechenlands Roms Kappadocien Griechenland Italien Asien Afrika Griechenland Kappadocien Armenien Sardinien Rom
150 Zweiter Abschnitt. Zweiter Zeitraum.
Verfassung wurde aufgehoben und die Regierung der dreißig „Tyrannen" (Aristokraten) eingesetzt, welchen eine spartanische Besatzung beigegeben wurde, die jede Unabhängigkeitsbestrebung niederzuhalten hatte.
Da die Spartaner fürchteten, Alkibiades könne zurückkehren und die in Athen eingesetzte Regierung stürzen, so suchten sie seiner habhaft zu werden. Alkibiades war von Tracien nach Phrygien geflohen und im Begriff, zu dem Perserkönig Artaxerxes Ii. nach Susa zu gehen. Auf Lysanders Betreiben sandte jedoch der persische Statthalter Pharnabäzos Meuchelmörder gegen ihn aus. Diese umstellten das Haus, in dem er sich aufhielt, zündeten es an und schossen ihn, als er sich zu retten versuchte, aus einem Hinterhalte mit vergifteten Pfeilen 404 nieder.
§. 23. Mrofes.
Der peloponnefische Krieg hatte nicht bloß das geistige und politische Übergewicht Athens zerstört; er hatte die Blüte der griechischen Staaten überhaupt geknickt. Die Religiosität schwand in dem Griechenvolke, die Sitten entarteten; statt Rechtschaffenheit und Bürgertugend herrschten Selbstsucht und Habgier unter den Menschen. Selbst in Sparta war die alte Einfachheit und Sittenstrenge verschwunden; von der in Athen herrschenden Sittenverderbnis zeugt das Schicksal des weisen Sokrates.
Sokrates war der Sohn des Bildhauers Sophroniskos und dessen Gemahlin Phänärete und 470 v. Chr. in Athen geboren. In seiner Jugend betrieb er die Kunst seines Vaters und erwarb sich daneben allerlei Kenntnisse. Als Staatsbürger erfüllte er treu seine Pflichten. Er kämpfte als Krieger tapfer in mehreren Schlachten und rettete einmal feinem Schüler Alkibiades das Leben, verzichtete aber auf den Preis der Tapferkeit, der ihm zuerkannt wurde.
Schon lange vor Sokrates gab es in Griechenland Leute, welche durch ernstes Nachdenken den Urgrund aller Dinge zu erforschen suchten (§. 29). Man nannte sie Weise oder, wie Pythagoras gewünscht hatte, Philosophen d. H. Liebhaber der Weisheit. Es gab unter denselben viele strebsame und besonnene Männer, aber auch leichtfertige und verderbliche. Zu den letzteren gehörten zur Zeit des Sokrates die Sophisten in Athen, welche ihren Scharfsinn und ihre Beredsamkeit mißbrauchten, um die unerfahrene Menge irre zu leiten. Sie trachteten mehr darnach, mit ihrem oft seichten Wissen zu prunken, als Religion, Tugend und Sittlichkeit zu fördern, strebten
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152
Zweiter Abschnitt. Zweiter Zeitraum.
kamen, ein Verfahren, das nach ihm die sokratische Lehrmethode genannt wurde.
Seine Schüler hingen mit Begeisterung und Liebe an ihm; wer einmal von ihm innerlich erfaßt war, fiel selten wieder von ihm ab. Antisthenes kam täglich aus dem Piräus zu ihm nach Athen. Als er aber einst in einem zerrissenen Mantel erschien, um damit zu zeigen, daß er seinen Meister in der Nichtachtung alles Äußeren noch übertreffe, rief ihm Sokrates zu: „Freund, durch die Löcher deines Mantels blickt die Eitelkeit hervor." Als den Megarensern während des peloponnesischen Krieges der Besuch Athens bei Todesstrafe verboten war, kam E u k l i d e s aus Megara vier Meilen weit in Frauenkleidern nach Athen, um die Unterhaltung des Sokrates genießen zu können. — Alkibiades war wenigstens besonnen, so lange er bei Sokrates war, und dieser gab sich um seine Erziehung große Mühe. — Als der junge Äschines gern sein Schüler geworden wäre, sich aber wegen seiner Armut scheute, ihm zu nahen, frug ihn Sokrates, als er dies merkte: „Warum kommst du nicht zu mir?" „Weil ich nichts habe, das ich dir geben könnte", war die Antwort. „Ei", erwiderte Sokrates, „schätzest du dich selbst so gering? Giebst du mir nichts, wenn du dich selbst mir giebst?" Und Äschines wurde sein eifriger Schüler. — Unter den vielen anderen Schülern ist noch Aristippos aus Kyrene zu nennen. Die bedeutendsten waren Xenophon, der sich als Feldherr und Geschichtschreiber auszeichnete, und vor allen Plato, der in der Akademie (daher Akademiker), einem herrlichen Garten bei Athen, lehrte und die von Sokrates mündlich vorgetragenen Lehren der Nachwelt schriftlich überlieferte.
Sokrates' Wandel war nach allen Seiten rein und vorbildlich. Von Natur heftig, übte er sich in der Selbstbeherrschung, die er besonders seiner Frau Xantippe gegenüber nötig hatte. Diese war damit unzufrieden, daß er, obgleich er doch wenig begütert war, sich nicht wie die Sophisten für seinen Unterricht bezahlen ließ. Er selbst nannte sie zwar eine treffliche Mutter ihrer Kinder; aber sie zankte oft, auch über geringfügige Dinge. Einst schüttete sie ihm nach einem heftigen Wortwechsel sogar ein Gefäß mit Wasser nach; doch Sokrates sagte gelassen zu seinem Nachbar: „Dacht' ich's doch, daß auf das Donnerwetter bald ein Regen folgen würde."
Obgleich Sokrates der Halbwisserei der Sophisten schonungslos entgegentrat und ihre dünkelhafte Anmaßung ironisch zurückwies, so dachte er doch bescheiden von sich und äußerte einst: „Ich übertreffe andere nur darin, daß ich dahin gelangt bin zu wissen, daß ich
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